Wir sind nicht wir
Wir Menschen bestehen aus etwa 10 Billionen Zellen. Überraschender ist mit Sicherheit, dass jeder von uns noch etwa 100 Billionen Bakterien „sein Eigen“ nennt. Diese Zahlen sind schwer vorstellbar, deshalb ist es sicher einfacher zu sagen: Wir bestehen zu einem Zehntel aus Zellen unseres Körpers und zu 9 Zehnteln aus Mikroorganismen, dem Mikrobiom. Bakterien infiltrieren jede Nische unseres Körpers. Von den noch viel kleineren Viren soll es 1 Billiarde geben. Erkenntnisse, welche Rolle diese für unsere Körperfunktionen spielen, sind noch gering.
Bakterien besiedeln in größten Mengen die Haut und den Darm. Der Darm ist bis zu 8 Metern lang. Seine große Oberfläche (ca. zwei Tennisplätze) resultiert aus zahlreichen Ausstülpungen. Nachgewiesen sind dort über 1.000 Bakterienstämme, die sich auf den gesamten menschlichen Organismus auswirken. Sogar auf die Psyche.
Wir sind nicht wir – sondern unsere Mikroorganismen
Wenn man einen großen Bogen schlägt, kann man sagen, wir essen, um unsere Zellen funktionsfähig zu halten. In erster Linie aber versorgen wir mit unserer Nahrung die vielen Bakterienarten in und auf unserem Körper.
Wir füttern unsere Mikroorganismen
Da auch Bakterienarten unterschiedliche Nahrung bevorzugen, können wir freiwillig mit unserer selbst gewählten Ernährungsweise mitbestimmen, mit welchen bakteriellen Mitbewohnern wir eine Gemeinschaft bilden wollen.
Gespräche zwischen Darm und Bakterien
Der griechische Arzt Hippokrates ging bereits vor über 2.000 Jahren davon aus, dass der Ursprung jeglicher Krankheit im Darm liegt. Heutige wissenschaftliche Untersuchungen unterstützen diese uralte Erkenntnis. Schauen wir genauer hin.
Die Oberflächenvergrößerung des Darmes durch vielfaltige Auffältelung wurde schon besprochen. Besonders wichtig ist die Schleimhaut des Darmes, wissenschaftlich: Mucosa. Glibberig und manchem eklig erscheint der Schleim. Aber hier wird es interessant. Der Schleim, wissenschaftlich Mucos, hat im Körper eine unterschiedliche Beschaffenheit, je nach Funktion.
Im Darm besteht der Schleim aus zwei aufeinanderliegenden, nicht absolut scharf voneinander abgegrenzten Schichten. Auf den Darmzellen direkt befindet sich die für Bakterien undurchlässige, relativ feste Schicht. Darüber befindet sich eine Schicht, in der sich aufgrund der geringen Konsistenz (beweglicher, weicher) Immunzellen und Bakterien aufhalten können.
Das Fachblatt „Nature“ informiert, dass im Schleim nützliche Bakterien von den Immunzellen akzeptiert, jedoch schädliche Bakterien angegriffen werden. Der Schleim wird auch als Lernort für Immunzellen eingestuft.
Erkannt werden nützliche Bakterien – nach neuesten Erkenntnissen – wahrscheinlich vorwiegend an ihrer Nahrungsverwertung. Können sie im Schleim enthaltene Ballaststoffe (Polysaccharide) verwerten, gelten sie als positiv. Bei der Aufspaltung von Polysacchariden entsteht Butyrat (kurzkettige Fettsäure). Butyrat wird vom Dickdarm aufgenommen und als Energiequelle und Botenstoff genutzt. Der Vorteil für Bakterien: die Spaltung der Polysaccharide liefert ihnen lebenswichtige Energie. Das heißt, Bakterien und Mensch leben zum gegenseitigen Vorteil zusammen – eine echte Symbiose.
Bakterien, die im ballaststoffreichen Milieu des Schleims überleben, werden also vom Immunsystem als „körperfreundlich“ eingestuft und nicht bekämpft.
Auf der Darmoberfläche selbst existieren spezielle Rezeptoren, die Interaktionen mit Darmbakterien erlauben. Es wird weiter an dieser Tatsache geforscht
Unsere Nahrung mischt sich ein
Der Mikrobiologe M. Desai am Luxembourg Institute of Health in Esch-sur-Alzette hat festgestellt, dass es bei immer mehr Menschen Probleme mit der Darmschleimhaut gibt. Industriezucker und ballaststoffarme Nahrung stören das Bakteriengleichgewicht im Darm. Werden Polysaccharide nicht ausreichend mit der Nahrung nachgeliefert, verzehren die ballaststoffabhängigen Bakterien aus Not „Restballaststoffe“ aus dem Schleim. Es entstehen Lücken und Löcher im Schleim. Krankheitserreger können eindringen. Das Risiko für entzündliche Erkrankungen im Darmbereich (Morbus Crohn und Colitis uelcerorosa) oder sogar Darmkrebs steigt. Ebenso könnte ein gestörtes Mikrobiom zu Fettleibigkeit und Diabetes führen. Bluthochdruck und Herzkreislauferkrankungen sind mögliche Folgen. Die gesundheitsfördernde Bakterienvielfalt ist erwiesenermaßen bei fettleibigen Menschen stark herabgesetzt.
Wir können uns sehr leicht selbst helfen, das heißt vorbeugen bzw. unserem Darm helfen, zu gesunden.
[wp-svg-icons icon=»point-right« wrap=»i«] Meiden wir soweit wie möglich hochverarbeiteten industriellen Zucker.
[wp-svg-icons icon=»point-right« wrap=»i«] Nutzen wir Obst, Gemüse und Vollkornprodukte
Nützliche Bakterien mögen Polysaccharide wie z.B. Arabinogalactan. Die guten Bakterien wie Bifido und Lactobacillus entwickeln sich sehr schnell durch Lärchenarabinogalactan.
[wp-svg-icons icon=»point-right« wrap=»i«] Du bist, was Du isst.
[wp-svg-icons icon=»info‑2« wrap=»i«] Schon gewusst? Die Wissenschaftler sind heute überzeugt, dass Antibiotika ein Ungleichgewicht der Bakterien im Darm bedeuten und entsprechende Funktionsstörungen nach sich ziehen können. Noch nach zehn Jahren ist die Wirkung eines Antibiotikums im Körper nachweisbar. Der Antibiotikaeinsatz sollte deshalb sehr überlegt und sparsam erfolgen.
Quellen: DER SPIEGEL Nr.39a 2017 „Guter Glitsch“; Berliner Zeitung Nr.92/2015 Lucas Haas „Winzige Herrscher im Darm“; Herder Lexikon der Biologie in 8 Bänden, Spektrum Akademischer Verlag, 1994)
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